Eine Kältemaschine, die Luft mit Hilfe von Luft kühlt

Clean-Tech-Firma justairtech entwickelt 3D-gedrucktes Kühlsystem mit deutlich höherem Wirkungsgrad

26. Februar 2024 | Lesezeit: 15 min

Das kann man nicht machen? Oh doch, es geht! Fünfmal effizienter und mit achtzig Prozent weniger Stromverbrauch

Derzeit ist die Verwendung von Wärmepumpen für die Gebäudeheizung in aller Munde. Ein Wärmetauscher ist nicht nur ein integraler Bestandteil einer Wärmepumpe, sondern auch ein wesentlicher Bestandteil eines Kaltwassersatzes. Wie funktioniert er also? Er funktioniert durch die Übertragung von Wärmeenergie zwischen zwei Medien, allerdings in einem ziemlich ineffizienten Prozess, den Holger Sedlak, CTO von justairtech, unbedingt verbessern wollte: "Mich treibt der Gedanke an, dass etwas, das bisher nicht erreichbar war, physikalisch möglich ist. Dann beginne ich nach Lösungen zu suchen. In diesem Fall geht es ausschließlich um Luft". Nach einer sowohl für EOS als auch für justairtech faszinierenden Reise steht nun fest, dass eine Lösung tatsächlich möglich ist. Das Ergebnis ist ein hocheffizienter Wärmetauscher, der ein revolutionäres Kältemaschinenkonzept ermöglicht, das nur noch ein Drittel der bisher benötigten elektrischen Energie benötigt.

Was ist das Neue an dem justairtech-Konzept?
"Ein einziger Schnellweg ist besser als mehrere Umsteigebahnhöfe"

Die Luft in einem Raum wird konditioniert, indem sie in einen Wärmetauscher gesaugt und dort abgekühlt wird. Dann gibt es einen Wasserkreislauf und einen weiteren Kreislauf mit einem Medium wie fluorierten Kohlenwasserstoffen. Diese Kreisläufe müssen durch Pumpen angetrieben werden, und das System benötigt außerdem Ventilatoren und weitere Komponenten, die alle Strom verbrauchen. Sedlak erläutert seine alternative Idee, Luft mit Luft zu kühlen, an einem anschaulichen Beispiel: "Wenn man früher mit dem Zug von München nach Berlin fahren wollte, musste man an mehreren Bahnhöfen umsteigen. Das war nicht nur zeitaufwendig, sondern auch ziemlich lästig. Wenn man sich diese Umsteigevorgänge aber durch eine Schnellbahnstrecke ersparen kann, ist die Reise nicht nur wesentlich schneller, sondern auch wesentlich angenehmer." Das ist das Grundprinzip seines Produkts: Sedlak eliminiert alle unnötigen Zwischenelemente, was zu einem fraktalen1 Luft-Luft-Wärmetauscher führt, der im Vergleich zu herkömmlichen Modellen eine neue Konstruktion von Kältemaschine und Wärmepumpe ermöglicht, die nur ein Fünftel des Stroms verbraucht. So weit, so gut. Einer der Gründe, warum es diese Lösung bisher nicht gab, ist, dass sie einfach nicht hergestellt werden konnte.

1Fraktal ist ein Begriff, der bestimmte natürliche oder künstliche Formen oder geometrische Muster bezeichnet (englischer Wortlaut entsprechend dem deutschen Originaltext). Quelle: Wikipedia, 24.07.2023

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Herausforderung angenommen:
Maximale Oberfläche, minimale Wandstärke und mehr

Holger Sedlak brachte seine Idee im Mai 2022 zusammen mit der Grundstruktur seines Wärmetauschers zu EOS. Philipp Komurka vom EOS Team Additive Minds diskutierte die Idee mit seinen Kollegen, obwohl sie den Erfolg der Umsetzung zunächst für sehr unwahrscheinlich hielten. Hauptknackpunkt für die Realisierung war die extrem geringe Wandstärke von ca. 150 mm Mikrometer bei einer sehr großen Oberfläche und insgesamt rund 330.000 Kanälen mit einem Durchmesser von nur 0,5 Millimetern. Obwohl der EOS DMLS-3D-Druck für sehr filigrane Strukturen konzipiert ist, erfordert der Laserprozess eine Energieübertragung. Das bedeutet, dass das Material schmelzen muss, um eine Schicht zu bilden. Um die extrem strengen Designvorgaben des Bauteils zu erfüllen und die Kanäle nicht zu verstopfen, unterliegt es jedoch einer Höhenbeschränkung. Eine weitere Anforderung war die Verwendung des Werkstoffs 316L, d. h. von rostfreiem Stahl. Andere Werkstoffe wären zwar leichter zu verarbeiten gewesen, hätten aber eine zu hohe Leitfähigkeit gehabt, was die Funktion des Wärmetauschers beeinträchtigt hätte.

"In meinem Leben ist es mir gelungen, viele unmögliche Dinge zu verwirklichen, aber ich habe immer mit Partnern zusammengearbeitet. Es braucht systemisches Denken und eine gemeinsame Reise mit anderen Menschen, um zu sehen, wo Anpassungen sowohl im Design als auch in der Produktionstechnik notwendig sind. Mir war klar, dass mein Produkt nur im Metall-3D-Druck realisiert werden kann, und EOS hat nicht nur einen Teil des Risikos übernommen, sondern sich auch sehr engagiert, um gemeinsam das Ziel zu erreichen."

Holger Sedlak, CTO von justairtech

Aktueller Baustand des chillAir | Quelle: justairtech GmbH

Der Weg zum Ziel
Prozess und Design, Entrümpelung und Cold Building

Zwei Mitglieder des Projektteams taten sich mit Philipp Komurka zusammen, um das Unmögliche möglich zu machen. Sie begannen damit, die Parameter und Prozesse zu verändern und jeweils an die Anforderungen des justairtech-Wärmetauschers anzupassen. Es gelang dem Team, Variablen wie Laserleistung, Geschwindigkeit und Temperaturbereiche so zu konfigurieren, dass der Bau einer solchen Struktur tatsächlich möglich wurde. Im Sommer 2022 war der erste Test erfolgreich, erforderte aber eine sehr lange Bauzeit von 110 Stunden. Hochgerechnet auf das gesamte Bauteil wären die Stückkosten für einen wirtschaftlich sinnvollen Betrieb viel zu hoch gewesen.

Die nächste Aufgabe bestand also darin, die Bauzeit auf ein Niveau von etwa 20 Stunden zu reduzieren, wie es ursprünglich von Holger Sedlak vorgesehen war. Das bedeutete eine Senkung der Bauzeit um bis zu 80 Prozent. Ein Schritt, um dies zu erreichen, war die Verringerung des Volumens der Build-Daten, da die ursprünglich unzähligen Vektoren zu einer sehr großen Design-Datei führten, was wiederum eine zu lange Nachbearbeitungszeit zur Folge hatte. In enger Zusammenarbeit zwischen EOS und justairtech wurde das Design optimiert und das Datenvolumen deutlich reduziert. Der zweite Schritt war die Entpuderung, denn im ersten Bauversuch enthielt die fertige Struktur rund 30 Kilogramm loses Pulver, das sich in den winzigen Kanälen verfangen hatte. Komurka erklärt: "Anfangs mussten wir neben dem Einsatz des Entpuderungssystems auch mit einem kleinen Hammer von Hand auf die Kanäle klopfen, weil wir nicht lange genug gewartet hatten. Schließlich haben wir festgestellt, dass das Bauteil einfach eine längere Entpuderungszeit benötigt." Bis zum Herbst 2022 und nach vielen Optimierungsschritten war die Bauzeit auf 60 Stunden gesunken, was einer Reduzierung um fast 50 Prozent entspricht. Um den Prozess noch schneller zu machen, wurde das Bauteil auf der EOS M 400-4 kalt gebaut - normalerweise wird der Bauraum beheizt, da sich das Material so besser bearbeiten lässt. Letztlich konnte durch den Einsatz des Kaltbaus die Abkühlzeit erheblich reduziert werden.

Auftrag mehr als erfüllt - was kommt als nächstes?

"Im Moment haben wir eine Bauzeit von 10 bis 12 Stunden, wobei die Entpuderung etwa 4 Stunden dauert - damit kommen wir auf eine Bauzeit von etwa 16 Stunden, um die zentrale Komponente des neuen Wärmetauschers fertigzustellen, ganz zu schweigen von dem deutlich niedrigeren Stückpreis", freut sich Komurka. Die erste komplette Kältemaschine soll im Frühjahr 2024 als Prototyp in einer industriellen Anwendung zum Einsatz kommen; da das Bauteil aber skalierbar ist, kann es auch größer oder kleiner als die Prototypen gefertigt werden.

Bislang fand der Bauprozess bei EOS statt. Allerdings soll justairtech als Ideenschmiede fungieren, denn eine eigene Produktion ist nicht geplant. Unser EOS-End-to-End-Produktionspartner MT Aerospace schließt sich diesem Projekt an, um das Bauteil in Serie zu bauen. Sedlak dazu: "Unser System ist fünfmal effizienter als herkömmliche Systeme, spart Energie,CO2 und Betriebskosten und kann dank seiner kompakten Bauweise überall installiert werden. Wir beginnen zwar mit industriellen Anwendungen, wollen aber auch Endverbraucher ansprechen, denn das Produkt eignet sich zum Heizen und Kühlen von Gebäuden aller Art", skizziert Sedlak seine Vision. Wir werden sehen, wie es weitergeht, und wir werden unseren Kunden auch in Zukunft bei diesem Projekt begleiten. Bleiben Sie also dran.

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